Vollkorn Baguette 3.0
Baguette – eine Herausforderung
Baguette gehört für mich zu den „Disziplinen“, die besonders anspruchsvoll sind. Vollkorn macht es dabei nicht eben leichter. Während ich früher noch mit einem Poolish (aus Hefe) und Sauerteig gearbeitet habe, ist es inzwischen nur noch der Lievito Madre (LM), den ich aus Hefewasser gezogen habe. Da mein LM eine TA von 170 hat, ein (fast) fester Weizensauerteig. Baguette nur mit Sauerteig herstellen zu wollen, ist eine zusätzliche Herausforderung, da die Prozesse langsamer ablaufen und noch mehr Variablen Einfluss nehmen.
Die letzte Podcastfolge von Lutz Geißler und Christina Weiß – @ploetzblog (Plötzlich Bäcker), die sich inhaltlich mit der Stock- und Stückgare beschäftigt, war für mich besonders lehrreich, da diese Prozesse maßgeblich für das Gelingen von Backwerken mitverantwortlich sind. Ich möchte allen, die backtechnisch weiterkommen möchten, empfehlen diese Folgen anzuhören.
Stock- und Stückgare
In Bezug auf Baguettes, habe ich verstanden, dass die Stockgare so lang sein muss bis sich der Teig ca. verdoppelt hat. In einer größeren Teigmenge herrscht eine höhere Temperatur, als in einer kleinen, also den Teiglingen. Da Gärung bei höheren Temperaturen besser funktioniert, muss diese ausgenutzt werden, um ein gewisses Volumen in den Teig zu bringen, welches durch Gärgase entsteht.
Sobald man den Teig zerteilt und einzelne Stücke erhält (Stückgare), kühlt der Teig relativ schnell aus und die Gärung wird verzögert. Würde man folglich zu schnell zur Stückgare übergehen, müsste diese zeitlich stark ausgedehnt werden, um den gleichen Gärzustand zu erhalten. Dieser lange Prozess könnte dann aber dazu führen, dass das Klebergerüst auf Dauer Schaden nimmt, da die Gärgase durch den Abbau des Teiggerüstes auf Grund der Enzymatik im Teig, nicht mehr gehalten werden könnten.
Die Lehre daraus
Als Lehre hieraus habe ich bei meinem jüngsten Versuch Baguettes mit LM zu backen, die Stockgare stark verlängert. Dennoch sind im ersten Ansatz, die Baguettes zwar lecker, aber nicht so großporig geworden, wie ich es mir erhofft hatte. In diesem ersten Ansatz, habe ich nach klassischer Manier, die Stückgare mit einer Zwischengare gemacht. Also Teiglinge vorgeformt, ein zweites Mal geformt und ausgerollt. Bei den Überlegungen, warum die Porung nicht so groß war, wie erhofft, kam mir in den Sinn, dass meine Weizensauerteigbrote aus reinem Vollkorn eine super Porung haben. „Warum also“, so fragte ich mich, klappt es bei den Weizensauerteigbroten, nicht aber bei Baguette? Dabei sind mir nachfolgende Unterschiede in der Handhabung aufgefallen:
- Die Hydration ist noch höher und liegt bei ca. 104%
- Der Teig ist sehr lange in der Stockgare und hat dann ein beträchtliches Volumen erreicht. Er ist voll mit Gärgasen und luftig.
- Anschließend wird der Teig nur sehr vorsichtig geformt, um möglichst wenig Gärgase zu verlieren, bzw. diese durch zu viel Druck kleinporig werden zu lassen.
- Der Teig geht über Nacht noch einmal ein wenig im Kühlschrank, ist dann etwas fester, als im warmen Zustand. Das Einschneiden wird ein bisschen erleichtert.
Die Änderungen
Auf die Baguettes bezogen, habe ich folgende Dinge geändert:
- Ich habe die Hydration (TA) von 95% (TA195) auf rund 99% (TA199) erhöht. Das von mir verwendete „Backstarker Weizen“ der Biomühle Eiling (selbstgemahlen und gut abgelagert), kann hohe Hydrationen sehr gut abfangen.
- Die Stockgare habe ich noch einmal verlängert (fast 8 Stunden, bei einem Sauerteiganteil von rund 31% und einer Raumtemperatur von 23-24°).
- Ich habe den Teig in einer flachen Glasform reifen lassen. Das hat den Vorteil, dass ich die Gare sehr gut beobachten kann. Ich sehe nicht nur von oben den Gärzustand, sondern kann auch von unten gut schauen, wieviel Bläschen sich gebildet haben. Der Teig liegt flach in der Schüssel und kann nachdem er auf die Arbeitsplatte gekippt wurde, in die entsprechende Portionsgröße abgestochen werden. Ich wiege ihn nicht, sondern nehme in Kauf, dass die Brote nicht identisch groß sind. Bei dem vorherigen Backversuch hatte ich zwecks der besseren Bestimmung der Teigreife, den Teig in einem schmalen hohen Gefäß gehabt. Hier kann der Reifezustand zwar noch besser abgelesen werden und die Temperatur wird vermutlich ein wenig besser gehalten, jedoch kommt er dann in einer Form (kugelig) auf die Arbeitsplatte, die es nicht erlaubt so abzustechen, dass direkt von hieraus geformt werden könnte.
- Der Teig kommt in einem stark fortgeschrittenem Gärzustand und mit einer hohen Hydration auf die Arbeitsplatte. Er ist zwar so weich, dass die Weiterbearbeitung einiger Erfahrung mit weichen Teigen bedarf,
aber mit dem Vorteil, dass die Zwischengare entfallen kann. Die Zwischengare ist notwendig, um den relativ festen Teig weicher werden zu lassen. Dieser Teig ist aber schon weich. Bei dem Formen zu einem Zylinder, welches vorsichtig und auf Zug erfolgen sollte (ich arbeite von der breiten Seite her), wird der Teigling bereits so breit, dass lediglich die Enden noch etwas spitz ausgerollt werden müssen. Weiteres Ausrollen ist nicht erforderlich. Sollte der Teigling dennoch nicht ganz so breit, wie gewünscht sein, kann man ihn in seiner Gänze leicht anheben und durch sein Eigengewicht leicht längen.
Meine Beobachtung ist, dass Vollkornteige, was das „Zerdrücken“ der Gärgase im Teigling anbetrifft, sehr viel empfindlicher sind, als Teige aus Weißmehl. Daher bietet sich eine besonders vorsichtige „Behandlung“ an. Dies ist insbesondere dann zutreffend, wenn ich relativ große Poren haben möchte.
Das Einschneiden
Wenn bisher alles gut geklappt hat, kommt noch die Hürde des Einschneidens. Eine Wissenschaft für sich und bei weichen Teigen entsprechend anspruchsvoller. Dass dieses Thema bei mir noch nicht ausgelernt ist, sieht man am Ausbund meiner Brote. Wenn man das Foto mit den eingeschnittenen Teiglingen, mit den fertig gebackenen Baguettes abgleicht, sieht man, wo es schon recht gut geklappt hat und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Das Lernen geht weiter!
Fazit: Die geänderten Zeiten und die Behandlung des Teiges haben sich ausgezahlt. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden, mit dem Geschmack sowieso!
► Baguette 3.0 – Gute Baguette mit Vollkornmehl herstellen
Zubereitungszeit ca. 36 Stunden. Ergibt 3 Baguette
Zutatenliste: (solltest du irgendetwas nicht kennen, schau mal im BACK-ABC nach)
440 g Weizenvollkornmehl (Bio Weizen Backstark Getreide) Lies dazu auch meinen Hinweis zu selbst gemahlenem Mehl!
21 g Lievito Madre TA170 (siehe Lievito Madre) frisch!
368 g Wasser (+ 40-70 g Bassinage-Wasser)
0,45 Acerolakirschpulver (optional)
9 g Backmalz inaktiv
9,5 g Salz
Teigeinwaage TE: ca. 900 g
Backzeit ca. 20 Minuten bei 250/235°
Hier findest du meine Zubehör-Empfehlungen
TIPP: Mit der Wasserzugabe sollte man zunächst vorsichtig sein. Zum einen entwickelt sich der Teig besser, wenn er zunächst mit weniger Wasser geknetet wird, zum anderen verhält sich jedes Mehl anders. Wenn dein Mehl eine weniger gute Wasseraufnahmefähigkeit hat, als mein Mehl (ich mahle es übrigens selbst), wird der Teig zu nass. Nimm nur dann die gleiche Menge Wasser, wenn du das gleiche Mehl verwendest! Hast du ein anderes Mehl, ziehe ca. 5% von der Gesamtwassermenge ab. Wenn du siehst, dass der Teig gut entwickelt ist und sich von der Schüssel löst, kannst du noch ein Schlückchen Wasser zugeben.
Zubereitung mit Zeitbeispiel:
Tag 1 – 18:00 Sauerteig (Lievito Madre)
48 g Wasser 35°
77 g Weizen-Vollkorn
21 g Lievito Madre TA170 frisch!
Zutaten vermischen, ca. 3,5-5 Stunden bei 30° reifen lassen. Ca. 90% Volumenzunahme, dann in den Kühlschrank
Tag 2 – 11:45 Hauptteig
320 g eiskaltes Wasser
Sauerteig LM
370 g Weizenvollkornmehl
0,45 g Acerolakirschpulver
9 g Backmalz inaktiv
Alle Zutaten, außer dem Salz, der genannten Reihenfolge nach in die Knetschüssel wiegen. Auf langsamer Stufe mit der Maschine verkneten. Ca. 6 Minuten (Wilfa 30)
9,5 g Salz
Salz dazugeben und auf einer etwas höheren Stufe (Wilfa 50) auskneten (Fenstertest), ca. 6 Min. Dabei, falls möglich ca. 40 – 70 g sehr kaltes Wasser per Bassinage zugeben. Beachte bitte meinen Hinweis zur Wasseraufnahme, oben im roten Kasten!
TIPP: Dehnen und Falten – IMMER MIT NASSEN HÄNDEN! Die Zeitangabe ist nur eine Hilfestellung. Passe die Zeiten an, falls du merkst, dass der Teig sehr weich ist. Dann verkürzt du die Abstände. Umgekehrt, wenn der Teig schon sehr stabil ist, verlängerst du die Abstände. Auch kannst du zusätzlich D+F, falls der Teig zu weich, bzw. instabil erscheint. Man dehnt in der Regel einen Teig so lange, bis er nachgiebig ist. Wenn er sich schon schlecht dehnen lässt, hörst du auf. Der Teig sollte auf keinen Fall reißen.
12:00 Stockgare
Lege den Teig ihn in eine (möglichst schwere, z.B. Glas) Form. Dort wird er direkt gedehnt und gefaltet, bzw. Coil-Folds gemacht. Ich benutze für diesen Zweck Jena-Glasschüsseln*, weil man in diesen gut Dehnen+Falten kann und gleichzeitig gut sieht, wie sich der Teig entwickelt. Denk bitte auch daran, dass der Teig immer abgedeckt werden muss!
Nach jeweils 20 + 20 + 30 + 45 Minuten wieder Coil-Folds durchführen.
Anschließend lässt du den Teig abgedeckt aufgehen. Bei mir hat die Stockgare 7,45 Stunden gedauert. Die Raumtemperatur war zwischen 23-24°.
19:45 Stückgare
Wenn der Teig sehr schön aufgegangen ist (siehe Foto) und prall aussieht, kannst du mit der Stückgare beginnen. Dafür kippst du den Teig auf die bemehlte Arbeitsplatte und teilst ihn in möglichst 3 gleich große Teile. Mach dir nicht übermäßig viele Gedanken, ob die Teile wirklich gleich groß sind. Es macht keinen extremen Unterschied.
Formen
Dann nimmst du dir jeweils einen Teigling vor und drehst ihn, so dass die breite Seite vor dir liegt. Von hinten beginnend ziehst du vorsichtig an einer Seite beginnend, an der Teighaut und legst sie nach und nach zur Mitte um. Versuch ziemlich weit unten zu greifen, wo der Teigling noch bemehlt ist. So klebt er am wenigsten. Dann drehst du den Teigling um 180° und wiederholst das Ganze noch einmal. Letztmalig ziehst du noch einmal vorsichtig am hinteren Ende des Teiglings und ziehst die Teighaut ganz bis vorne unten, wo du sie an die Arbeitsplatte drückst. Mit der Handkante kannst du sie nochmal festdrücken. Bei diesem Vorgehen ist der Teigling schon ziemlich breit geworden. Halte im Blick, dass er nicht breiter ist, als dein Backstahl oder der Stein. Falls er noch nicht breit genug ist, nimmst du ihn vorsichtig an den Enden hoch und lässt ihn etwas runterhängen. So wird er sich nochmal längen. Wenn er die fast richtige Länge erreicht hat, rollst du nochmal vorsichtig über die Enden, damit diese spitz zulaufen.
Anschließend legst du den Teigling in ein gut bemehltes Leinentuch, Schluss unten. Zwischen den einzelnen Teiglingen musst du das Tuch hochziehen, damit sie Stand bekommen, nicht in die Breite laufen und sich nicht gegenseitig berühren. Bemehle sie nochmal von oben und decke sie ab. Anschließend musst du sie noch auf eine Unterlage heben, mit denen sie in den Kühlschrank kommen können. Diese pflege ich noch zusätzlich mit einer Plastikfolie abzudecken.
Nach einer weiteren Stunde draußen, können sie dann über Nacht in den Kühlschrank bei ca. 5°.
Tag 3 – 7:00 Backen
Heize den Backofen rechtzeitig auf 250° mit einer Stahl- oder Steinplatte auf. Das dauert zwischen 45 und 60 Minuten (Stahlplatten sind etwas schneller und geben stärker die Wärme ab). 5 Minuten, bevor der Backofen warm genug ist, beginnst du mit diesen Vorbereitungen:
Befördere die Teiglinge mit Hilfe eines schmalen Brettes oder einer schmalen Metallplatte auf das Backpapier, welches auf dem Einschießer liegt. Der Schluss muss wieder nach unten kommen. Du kannst die Oberfläche nochmal leicht mit Mehl bestäuben. Dann schneidest du mit einer scharfen Klinge, flach in die Oberfläche. Die Einschnitte sind nur in der Mitte und überlappen sich zu ca. 1/3.
Ein gutes Lehrvideo gibt es z.B. hier: Youtube
Nun schiebst du die Baguette in den gut bedampften Backofen. Nach 10 Minuten die Backofentür einmal weit öffnen und die Temperatur auf 235° senken. Nochmal ca. 10 Minuten backen.
Hinweis selbst gemahlenes Mehl:
TIPP: Selbst gemahlenes Mehl
Wenn du dein Mehl selber mahlst, sollte es möglichst 1–4 Wochen ablagern. Zu frisches Mehl kann zu einer ungünstigen Enzymatik führen. Längeres Ablagern verbessert die Wasseraufnahmefähigkeit und die Teigentwicklung/Glutenstruktur. Außerdem bekommt der Teig mehr Stabilität. Auch die meisten Roggenmehle profitieren vom Ablagern. Dies betrifft insbesondere alte Sorten und jene, bei denen das Getreidekorn klein ist (z.B. Waldstaudenroggen).
Lass das frisch gemahlene Mehl erstmal auskühlen und verwahre es dann in einer Papiertüte oder in einem Kunststoffcontainer auf. Damit du später weißt, wann du das Mehl gemahlen hast, ist es vorteilhaft das Datum aufzuschreiben. Hier kannst du nachlesen, wo es günstige Kunststoffcontainer zu kaufen gibt.
© 2024 Yvette Sillo (www.voll-korn-voll-lecker.de). Die Nutzung des Rezeptes ist nur für private Zwecke genehmigt. Jede kommerzielle Nutzung und öffentliche Nennung muss mit der Rechteinhaberin abgestimmt werden. Bei Nutzung des Rezeptes (auch privat) muss die Urheberin des Rezeptes genannt werden (Internetseite oder Instagram @voll_korn_voll_lecker)
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